Dr. Michael Wolfson schreibt:

Wald-Variationen

Wer seine Kindheit mit seinen Freunden wesentlich im Wald und der umgebenden Landschaft verbringt, hat automatisch eine besondere Affinität zu Wald und Landschaft. Nach den oft abenteuerlichen Erlebnissen in den ersten Lebensjahren trat mit und nach der Pubertät eine neue Sicht dieser Umwelt ein: die ästhetische Wahrnehmung, die Schönheit des eigenen Umfeldes. Das war dann auch der Anfang meiner ersten Versuche und für meinen gestalterischen Schwerpunkt Landschaft.

Der Baum gibt, er nimmt.

Er nimmt ihn als Material – ob als Holz in seiner rohen Form, bzw. zersägt, gehäckselt, zerkleinert und zu Pressholz oder Papier verarbeitet – oder als zeichenhaftes und vielfach besetztes Chiffre: als deutscher Wald, als Grünfläche für ein französische Frühstück der impressionistischen Art, als Jagdrevier für wahre Männer, als Ursprungsort des Weihnachtsbaums, als Heimstätte von Bambi und als Zufluchtsort des Einhorns oder als lästiges Umweltproblem.

Aber er gibt auch zurück. In Form von Kunstwerken, die dieses Aspekte annehmen, umdrehen, verspiegeln, auf ihre sichtbaren und verborgenen Inhalte hin durchleuchten und mit Ironie, sowie Bild- und Sprachwitz wiedergeben.

Insofern ist einer wie Max Ernst ein künstlerischer Ahnherr von Hans-Jürgen Giesecke. Denn auch Giesecke ist jedes (Stil-)Mittel und jeder Stil recht, wenn es darum geht, Licht auf Absonderliches im dunklen und geheimnisvollen Dickicht des Waldes zu werfen. Denn es geht auch um die Visualisierung einer Idee, und hierzu können verschiedene Stilrichtungen oder künstlerische Techniken ihren Beitrag leisten: schon Assoziationen, die diversen Stilrichtungen als Last auf dem Rücken, prägten auch schon das allgemeine, teils populäre, teils intellektuelle Bild der Natur in unseren biologisch abbaubaren Köpfen.

Ob der röhrende Sofahirsch seligen Angedenkens, die naturwissenschaftliche Realiensammlung, sämtliche vor- und postimpressionistischen, vor- und postmodernen Malstile, alle werden bedient im Rahmen von Gieseckes philosophisch-linguistischem Jagdausflug durch die Kunst. Und für seine Seitenhiebe auf unsere Wahrnehmung des Waldes steht ihm das Licht als künstlerisches Allzweckmittel zur Seite.

Hans-Jürgen Giesecke Portrait