Dr. Michael Wolfson schreibt im Mai 2005:

Die menschliche Seite der Dinge oder die Poetisierung des Alltäglichen

Die Bedeutung, die einem Gegenstand zugemessen wird, ist eigentlich Verabredungssache. Ob von Menschenhand oder aus der Natur, es gibt Wörter oder Phrasen in jeder beliebigen Sprache, die sie identifizieren und ihre Eigenschaften benennen.

Eine Aufgabe der Kunst ist es nachzufragen, nachzubohren, nicht alles so zu nehmen, wie es an der Oberfläche erscheint. Solch unterschiedliche Künstlerpersönlichkeiten wie René Magritte und Timm Ulrichs riskierten in ihrer jeweiligen eigenen Art und Weise einen Blick unter die Oberfläche von zahlreichen Gegenständen und den dazugehörigen, tradierten, herkömmlichen Bedeutungsebenen.

Wenn sich Hans-Jürgen Giesecke auf die Alltagsdinge unserer Umwelt menschlich-poetisch einlässt, nimmt er sie einerseits todernst. Andererseits fragt er unnachgiebig auch nach einem übergeordneten assoziativen Erzählungswert. Etwas Konkretes, Materielles kann auch etwas anderes sein, etwas Bildhaftes, das innere und äußere Widersprüche und Ambivalenzen herausstellt.

Dieses “Etwas” kann alles sein, was ihm unter die Fittiche kommt, wobei es gut und gern etwas Banales sein kann, alt und kaputt, verbraucht und nicht mehr zu nutzen;

Dinge, die Edgar Dégas als “les choses oubliées” bezeichnete: also das klassische und oft bemühte “object trouvé”. Aber: in vielen seiner Fundobjekte, jenen in der Kunst der Moderne oft und gern etwa zu gesellschaftskritischen Zwecken verwendeten Gegenständen, erkennt Giesecke, dass sie logischerweise auch erst einmal verloren gegangen sein mussten, bzw. im Wald oder am Straßenrand beseitigt werden mussten. Erst dann können sie, wenn auch Jahre später, gefunden und als Fundobjekt verwendet werden. So dienen der Verrostungsprozess einer Blechdose sowie die natürlichen Alterungsspuren bei organischen und anorganischen Materialien als beinah mythologische Stichwörter, die geschichtliche und erzählerische Verläufe verdeutlichen.

Eine zentrale Rolle nehmen dabei die eigenen hinzugedichteten Texte oder Zitate ein, die uns als kommentierender Cicerone bei seinen Bildobjekten begleiten, ja gelegentlich auch vorübergehend in die Irre führen, wobei die stets wechselnden Sprachstile für weitere Verwirrung sorgen, bevor wir sicher zum heimischen Hafen der vertrauten Wahrnehmung geführt werden.

Mal skurril und mal anzüglich, mal theoretisch und mal philosophisch, weisen sie auf den Spaß hin, den er daran hat, Wörter und Inhalte zu verdrehen, um sie zu analysieren und am Ende im Sinne des Erkenntnisgewinns klarzustellen.

Als Mann und als Künstler hat Hans-Jürgen Giesecke natürlich geschlechts- und berufsspezifische Interessen, die gelegentlich in schönem Einklang vorkommen, etwa bei seiner Neuentdeckung zur wahren Todesursache eines bekannten Renaissance-Multitalents. Aber seine dinglichen Beobachtungen zu Leben und Beziehungen oder zu kunst- und farbtheoretischen Phänomenen überraschen durch ihre zwar Komplexität vortäuschende, aber doch klare Einfachheit.

Denn Giesecke erkennt, dass die Natur der bessere Künstler ist, zumal sie schon vor Jahrmillionen einige knifflige Gestaltungsprobleme mehr als zufriedenstellend löste, die manch einem Kunststudenten heute den Kopf zum Rauchen bringen. Und Giesecke schaut zu und lacht sich ins Fäustchen.

Wohlwissend um die harten Belastungen des Alltags, gingen sie - trotz sehr unterschiedlicher Strukturen - optimistisch eine innige Beziehung ein. Sie mussten jedoch - schließlich von der Realität zermürbt - das Scheitern hinnehmen. Der Bruch war unvermeidlich.
Pickelig, flechtig, schrundig: weder Hormone, Cortison, noch UV-Bestrahlung brachten eine Verbesserung. Er ergab sich seinem Schicksal und suchte die entsprechende Partnerin.
Die triebhafte Begattungswut macht oft so blind, dass Zebrastreifen nicht benutzt und Ampeln übersehen werden.  Dä! Dumm gelaufen.
Eben noch schmatzend fressend,kurvend Spuren hinterlassend, fein abgestimmt in Abstand und Rhythmus, verließen sie die Stätte  des üppigen Gelages; gefühllos die Toten zurücklassend.
Seifen-Liebe  Die euphorischen, reinen Anfänge lassen immer vergessen, dass die natürlichen Abnutzungsprozesse alle Hoffnung auf ewige Dauer in Frage stellen. |Bild: Seife der Marke "Amor", Gebrauchsspuren
Trotz seiner sprichwörtlichen Coolness<br />führten die ständigen Vorwürfe<br />wegen seiner mangelnden Reflexionsfähigkeit<br />bei der Bewältigung der Alltagsaufgaben<br />dann doch zu dem nicht zu übersehenden Zusammenbruch.
Ein Leben lang schraubend drücken, pressen!  Ein Leben lang diente ich. Immer im Sinne höherer Ziele, die andere mir vorgaben. Stolz kann ich berichten, dass ich immer perfekt Druck ausübte. Bis zu dem Tag, als der Druck mich selbst zerstörte.  Wie undankbar man mich fortwarf, kränkte mich doch sehr!
Pressekonferenz  Das Messer war mit Blutanhaftungen versehen.*  Opferseitig verweisen fahndungsbezogene Erkenntnisse betreffs Tatort auf hühnerstallhafte Unterkunft. Täterseitig sind sachbezogene Details fahndungsbetreffs durch starke Beweismittelhinterziehung erschwert.
Forscher haben herausgefunden...  Das wilde Sexleben des Macho Michelangelo ist ja bekannt und entsprechend breitgetreten worden.  Über die Sexualität des Raffael - zwar sehr von derFrauenwelt umschwärmt - ist äußerst wenig nach außen gedrungen.  Hier nun das sensationelle Forschungsergebnisund der dreidimensionale reale Beweis: dass sein Todin einer Liebesnacht erfolgt sein soll, war immer nur ein Gerücht.  Die durch Baumaßnahmen notwendige Umbettung des Sarges hat es jetzt an den Tag gebracht:  Seine Armbanduhr - in der Todesstunde stehen geblieben - zeigt eindeutig auf Sex!
Ein Mensch beim Essen  Ein Mensch beim Essen ist ein gut Gesicht,wenn er nichts denkt und nur die Kiefer mahlen, die Zähne malmen und die Blicke strahlenvon einem sonderbaren Urweltlicht.  Welch ein entzücktes Spiel: zu hohen Festen erlesner Bissen Liebreiz zu erflehen, und welche Lust: sich mächtig voll zu mästen, satt und mit Saft erfüllt vom Hals bis zu den Zeh’n (Carl Zuckmayer)  Doch welch ein Pech: ein vollgemästet Körper sich träge nur schwer aufrecht hält. Umsonst der Liebreiz, umsonst das Fleh’n: es ist das Ende von dem Feste! Und Armor sieht man traurig geh’n... (Hans-Jürgen Giesecke)
Aufgrund ihrer langen Lebenserfahrung formulierten sie auf der letzten Jahreshauptversammlung das neue Manifest,  das mit der Forderung  nach der Reinheit der Mittel endete.
Medienstar  Wenn jemand glaubt, er  wäre - kaum gesplte aus des Meeres Schaum -  dann bereits ein ander Ding, vielleicht sogar ein Schmetterling, muss er die Welt schon sehr verbiegen für dies Gefühl von Höhenflügen.  Auch wenn es alles so nicht wahr, so reicht es doch zum Medienstar  (nach Wilhelm Busch)
Unwissend zwar, doch ganz gerade, in klar gestreckter Form betrat ich diese Welt.  Ein Wechselbar von heiß zu kalt, durch Beugedruck und viele harte Schläge verbog man mich zu dieser Form.  Nun bin ich prächtig angepasst, auf alle Wendungen gefasst und setz mich tüchtig durch. | Bild: Aus Abfallkiste einer Schlosserei
Spiralig glänzend, zum unendlichen sich schließend, den Atomen einen lustbetonten Loopingraum bietend. | Bild: Brauseschlauchrest
Obwohl von Naturbestens darauf programmiert, gerade Linien senkrecht, waagerecht feinstens auszuführen, gelingt es ihnen nie. Ständig trunken vom vergorenen Saft, können sie nur in Schlangenlinien ihr Werk verrichten.
Er / teil / te / Zeit / so / Takt / für / Takt. / Nun / hat / die / Zeit / ihn / ein / ge / holt / und / nagt / an / ihm. / Jetzt / ist / es / still. / Ihm / fällt / es / schwer, / so / stumm / zu / sein. / Und / nutz / los / hängt / jetzt / sein / Ge / wicht. /  Taktlose Gedichte sollten eigentlich unrhythmisch sein. | Bild: Uhrenpendel
Von ihrem anbstrengenden Kampf mit H2O und O2 errötet, ziehen sie sich ermattet zu schützenden Gruppen zusammen, graben sich tief ein, um dann doch ermüdet abzufallen. | Bild: Rostiges Eisenteil, Fundort Hafen
Alle Warnungen in den Wind schlagend, setzte sie gerade zum scharfen Biss an, als der Zauberspruch der Fee O2 sie im Zustand aggressiver Spannung erstarren ließ.
Schwerter zu Pflugscharen, Haken zu Trophäen, Un - Sinn zu Frosinn.  oder:  Die Welt wie die Kinder - überkopf -  durch die Beine betrachten. | Bild:  Alu-Garderobenhaken
Fein der Kontrast von Kovex und Konkav! Gut das Gespann von Glatt und ganz Rau! Durch den Verbund von Außen und Innen können Volumnen und Raum sich durchdringen! So macht Natur uns Kunst wie im Schlaf.  Diese Dosen-Skulptur hat sich klar und deutlich als Recycling-Gegner geoutet. | Bild:  Verrostete Getränkedose
Auserkoren zum Schutze der Eichen, verwandelt in Rundes zum Schutze des Weines,geschreddert zu kleinen und leichten Partikeln, verdichtet, geklebt zu eckigen Platten, enden wir matt unter achtlosen Schritten.  Aber die Erinnerung an das lustvolle Scheuern der Wildschweine bleibt. | Bild:  Korkfußbodenplatte
Honig-Rippchen  Gar köstlich, diese Honigrippchen! Es glänzt die wohlgeformte Brust. Dem Alltag schlagen wir ein Schnippchen, das Auge strahlt vor Wonn’ und Lust! Und von dem wunderbaren Fest bleibt dieses Bild im warmen Klang als nicht geplanter, schöner Rest.  oder: Wie man ein Bild durch die Rippen schwitzt... | Bild:  Alufolie nach dem Braten
Atrophie  Aus dem Obduktionsbericht: ...kann mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die Todesursache eindeutigauf Dehydrierung bei Dunkelheit verweist, - wobei die totale Isolation mit den einhergehenden Deprivationsserscheinungen die Atrophie beschleunigte.  Vorlage: Beweisstück Nr. 1 | Bild:  Vertrocknete Kartoffel
Mist - Stück  Die Frauenphobie des Edvard Munch - visualisiert von deinem Arzt Dr. Gotthelf Strindberg.  | Bild:  Misthaken, ca. 1925
Alters - Akne  So manchmal kommt die Pubertät in einem Leben doch recht spät. Doch dann sehr schön, wir ihr hier seht!  (Gedicht von Agnes Antholz)
Sein kunstvoll geflochtener Schaft, die rhythmisch-barocke Schwingung des Kopfes, seine sanfte Naturfarbe sind von solch ästhetischer Gestalt, dass leicht vergessen werden kann, welch wichtiges Erziehungsmittel zur  „sinnlichen Einlenkung in die Sittlichkeit“ * er dann doch auch darstellte.  * Pestalozzi
Einerseitsist der drastische Verlust an Volumen und praktischem Nutzen nicht zu übersehen.  Andererseits erfreut uns nun die feingegliederte Faltigkeit als Individualität mit rein ästhetischem Nutzen.  oder:  Max Ernst zu oben: Ausgangmaterial Max Ernst zu unten: Kunst (Frottage)  Marcel Duchamp zu oben: Kunst (Ready made) Marcel Duchamp zu unten: Nicht nötig | Bild: Plattgefahrene Katzenfutterdose und Frottage der Dose
Statement Lange haftend im alten Holz brutal meiner funktionalen Bettung entrissen wurde ich ganz nackt vom „Künstler“ aufgeklebt.  Hier hänge ich nun funktionslosund ohne Gesellschaft. Ich frage Sie - ganz ehrlich -, wer will sich schon so nackt und isoliert präsentiert sehen? Na ja, die Aufmerksamkeit auch fragend schauende Betrachter schmeicheln schon,  aber sie befremden mich doch.  Obgleich mir der „Künstler“ etwas von „minimalistisch“, „elemntar“, „Reduzierung“  und absolut „nicht - narrativ“ erzählte, -  Worte, die mich eigentlich aufwerten sollten -, komme ich doch nicht umhin, ganz subjektiv feststellen zu müssen, dass ich - aufgrund meiner Isolierungund dieses funktionslosen Herumhängens -  den „Mnimalismus“ einfach langweilig finde; obgleich Kunstinteressierte nur bei Nennung  dieses Begriffs „Minimalismus“ ganz wichtige Gesichter zu machen pflegen.  Nun ja, mehr oder weniger gezwungen spiele ich einfach mal mit. | Bild: Alter geschmiedeter Nagel, ca 1880
Paradigmawechsel (Dreier - Schritt)  Hieß es noch bei Bach „wir setzen und mit Tränen nieder,“ so musste Mitscherlich „Die Unfähigkeit zu trauern“ konstatieren.  Doch die Rettung allzumal sind diese Tropfen „Lakrimal“, *   * Lakrimal gibt Ihnen auf einfache Weise die Tränenflüssigkeit zurück
 Ausschnitt aus der Grabrede zum Tode eines Föns ... und nachdem nun die Götter den Menschen das Feuer gebracht (zu Nutzen und Frommen), galt es nun,  dieses göttliche Element zu beherrschen, zu kontrollieren.  War es nicht gerade auch ER, der hier vor uns liegt, der dieses Element perfekt beherrscht kontrollierte und über Jahrzehnte uns mit gleichmäßig warmem Wüstenwind umfächelte und erfreute?  Welch tragisches Schicksal, dass gerade den Beherrscher des Feuers die ungezügelte Gewalt dieses Elements so schmerzvoll dahinraffen musste ... ! | Bild: Fön nach Zimmerbrand
Metamorphose  Eben noch reines Schleifpapier der ganz feinen Körnung, führte der handwerkliche Einsatz zu einer delikaten Verschmutzung, die sich dann als Feininger-Kirche entpuppte.  Die historische Trennung von Handwerk und Kunst ist damit wieder aufgehoben. | Bild: Schleifpapier mit Gebrauchsspuren
Aus samtig Korn - ganz fein gewebt, so schräg von vorn ein Bild entsteht:  der Janssen Horst!  Der schreit vor Frust, weil’s Zufall war, was hier nun steht.  Man glaubt es nicht, doch es ist wahr: des Tischlers Hand so Kunst gebar.  (Adam Aleatoris)  | Bild: Schleifpapier mit Gebrauchsspuren
Werbe - Idee  Wenn die notleidende Südtiroler Lederindustrie in eienr geradezuspitzenmäßig verlaufenden Werbekampagneden Ötzi erfunden hat,  warum kann die notleidende deutscheHolzindustrie mich nicht als verholztenMoormann präsentieren.  Motto: Deutsche Holzköpfe halten länger! Oder so ...
Vernissage-Rede Meine Damen & Herren!  Der Versuch der Integrierung des Quadrats im Kreis - nicht zu verwechseln mit der Quadratur des Kreises - ein nicht lösbares mathematisches Problem - nein das nicht - hier geht es um den Versuch der Integration des Quadrates im Kreis, also eher eine sehr humane Dimension, hier vom Künstler dargestellt in differenzierter, äußerst feinfühliger Form.  Die Arbeiten verweisen nicht nur auf die abstrakte, mathematische Form, sondern sind auch ein Synonym für den Versuch, der Irrationalität des täglichen Lebens durch das Konstrukt des mathematisch Rationalen eine Form zu geben. Damit gelingt dem Künstler eine Sprengung der Trivialität und führt den kontemplativen Betrachter in eine schier transzendentale Dimension des Reinen.  Der Wechsel von dunkeln nach hell in der seriellen Abfolge der Objekte, in feinfühligen Schritten rhythmisch entwickelt, symbolisiert den Grad der Bewusstwerdung des Menschen zur reinen Erkenntnis, einer geradezu kantischen Dimension. Von der Finsternis bis zur Firnhelligkeit der reinen Erkenntnis.  „Loch ist Loch“, sagt schon Tucholsky; und dimensioniert damit sowohl das Elementare des Seins als auch die platonische Erkenntnis des Absoluten.  Die ausgestellten Werke des gefeierten Künstlers symbolisieren diese Erkenntnisse aufs Exemplarischste.  Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit  Alfons Labertöns Publizist und Kulturkritiker